Eine weitentfernte Normalität.

Myanmar - Ein Jahr ist schon seit dem Staatsstreich des Militärs vergangen. Die Zukunft bleibt mehr als ungewiss. Wann wird die Normalität zurückkehren?

Die Hoffnung war allgegenwärtig, wenn ich in den letzten Jahren nach Myanmar reiste. Ich hatte den Eindruck, dass die Zeit der Militärjunta endgültig vorbei war. Die Zukunft schien vielversprechend, obwohl die Entwicklung des Landes auch ihre Schattenseiten zeigte, insbesondere in Bezug auf die Umwelt. Diese Realität ist nur noch eine ferne Erinnerung. Unser Koordinator, mit dem wir wöchentlich Kontakt halten, sagt mir regelmässig: „Ich hätte mir nie vorstellen können, wieder in einen solchen Machtmissbrauch zurückzufallen.“

Vom Leben zum Überleben

Die gesamte Bevölkerung Myanmars erlebt eine Zwangsrückkehr zu den Grundlagen. Sie befinden sich wieder an der Basis der Maslowschen Pyramide, die mit den Grundbedürfnissen des Menschen verbunden ist. Heute kämpft die Bevölkerung mit allen Mitteln ums Überleben. Die Wirtschaft ist komplett zum Erliegen gekommen. Davon zeugt der Höhenflug des Wechselkurses und das Einfrieren von Bankkonten, um massive Abhebungen zu verhindern. Die Mittelschicht, einst der Gewinner des politischen Tauwetters seit 2010, hat fast alles verloren. Eine beispiellose Verarmung ist im Gange: niemand bleibt verschont.

Horror hinter verschlossenen Türen

Aus Myanmar erreichen uns nur wenige Neuigkeiten. Das Land ist seit zwei Jahren hermetisch abgeriegelt. Es gibt nur wenige Journalisten, die vor Ort sind und diese befinden sich hauptsächlich in Yangon. Andere Ereignisse wie die Coronavirus-Pandemie und die Ereignisse in Afghanistan beanspruchten unsere ganze Aufmerksamkeit.

Heute herrscht ein Bürgerkrieg „niedriger“ Intensität zwischen den mit ethnischen Armeen verbündeten „Volksverteidigungskräften“ und dem Militär. In unseren Interventionsgebieten, den Gemeinden Kalay und Tonzang, gibt es bewaffneten Widerstand. Mehrere Dörfer, in denen wir intervenierten, wurden deshalb von der Armee angegriffen. Sie trauern um ihre Toten und sehen sich mit erheblichen materiellen Schäden konfrontiert. Glücklicherweise ist bislang keines der unterstützten Projekte zu Schaden gekommen.

Aussetzung unserer Interventionen

In einem derart unsicheren Umfeld ist es uns nicht mehr möglich, Hilfsprojekte durchzuführen. Wir haben Nothilfe geleistet, als die Coronavirus-Pandemie das Land überrollte. Seitdem mussten wir unsere Aktivitäten auf ein absolutes Minimum beschränken und auf bessere Zeiten warten. Die Zukunft ist ernsthaft gefährdet.

Xavier Mühlethaler