Myanmar - Der Verantwortliche unseres Koordinationsteams teilt seine Wahrnehmung der Krise, welche sein Land erschüttert. Ein einzigartiger Einblick.

Wie hast du den Militärputsch im Februar 2021 erlebt?

Ich war in Yangon am arbeiteten. Es war ein Montag. Plötzlich zirkulierten Gerüchte. Es war unmöglich, sich zu informieren, da die Kommunikationskanäle während vier Stunden blockiert waren. Als wir die offizielle Nachricht erhielten, war es, als ob einem der Boden unter den Füssen weggezogen wurde. Die Tränen flossen, denn ich wusste genau, was uns jetzt erwarten würde. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens unter der Militärjunta gelebt. Ich wollte so schnell wie möglich aus diesem Albtraum erwachen, doch, es war die Realität.

Wie hast du das letzte Jahr erlebt?

Es war das schwierigste Jahr meines Lebens. Die Kombination aus Staatsstreich und Gesundheitskrise im Zusammenhang mit dem Coronavirus war furchtbar. Besonders schwer war es, zu sehen, wie gute Freunde nicht mehr für ihren Unterhalt aufkommen konnten, weil sie ihre Arbeit verloren hatten. Ich habe alles getan, um ihnen zu helfen, irgendwann war es auch mir fast nicht mehr möglich, über die Runden zu kommen.

Was fehlt dir am meisten?

Ich vermisse es, mich frei und ohne Angst bewegen und arbeiten zu können. Ich träume davon, mich sicher zu fühlen.

Was waren die Auswirkungen auf deine Arbeit?

Die Banken haben sehr schnell den Zugang zu Konten eingeschränkt. Alle Mittel für die Projekte und die Deckung der Betriebskosten des lokalen Koordinationsteams waren blockiert. Die Sicherheitslage hat sich zunehmend verschlechtert, so dass an eine Umsetzung von Projekten nicht mehr zu denken war. Zurzeit können wir praktisch nichts mehr tun.

Wie geht es den Projekten?

Die von uns zur Verfügung gestellten Infrastrukturen ist allgemein in einem guten Zustand. Nur eine Schule erlitt Einschusslöcher. In den Schulen wird momentan nicht unterrichtet und auch die Aktivitäten der Gesundheitszentren wurden ausgesetzt. Eine der Brücken, die wir gebaut hatten, ist der einzige Zugang, um die Region mit Gütern zu versorgen.

Wie geht es den Begünstigten der Projekte?

Kein Dorf und keine Person ist in Sicherheit, solange die Militärjunta regiert. Das Militär erlässt jeden Tag neue Gesetze, um seine Machtposition zu festigen und die Bevölkerung einzuschüchtern. Die Regionen, in denen wir aktiv sind, sind besonders betroffen, da es dort eine sehr starke, auch bewaffnete Opposition gibt. Wir stellen fest, dass sich als Folge davon die Strassensperren vervielfacht haben und es wiederholt zum Eindringen der Armee in die Dörfer gekommen ist. Die andere Herausforderung für die Dorfbewohner ist der beispiellose Anstieg der Preise für alltägliche Verbrauchsgüter. Das Leben der Bevölkerung wird immer schwieriger. Einige denken darüber nach, das Land zu verlassen.

Wie blickst du in die Zukunft?

Wenn ich den Zusammenhalt der Leute untereinander sehe wie sie sich gegen die Militärjunta stellen, gibt mir das Kraft weiterzukämpfen. Sobald diese Revolution beendet ist, werden die Menschen in Myanmar echte Freiheit geniessen. Das ist meine Hoffnung.

Das Gespräch führte Xavier Mühlethaler

Übersetzt von Sonja Tschannen