Eine wachsende Anzahl Labore bietet im Internet DNA-Tests an, um unsere „wahrhaften“ Wurzeln aufzuspüren. Ein bisschen Spucke und die Sache ist erledigt. Die „fast-Genetik“ beschwört zugleich ein grosses Völkergemisch sowie eine vereinfachte Art der Zugehörigkeit herauf, ein komischer Dualismus, im Einklang mit unserem Zeitgeist. In einer Welt der permanenten Mobilität und der ständigen Entwur­zelung, wird die Suche nach der Identität immer stärker thematisiert, als ob man damit einen sicheren Hafen finden könnte.

Realitätsfern

Nur wer seine Vergangenheit und seine Wurzeln kennt, kann mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Zugleich wird man in unserer westlichen Welt als nationalistisch oder altmodisch abgestempelt, wenn man auf seine Wurzeln stolz ist. Heutzutage wird in erster Linie der Internationalismus gepriesen. Die generelle Wanderlust nimmt Überhand. Diese fehlende Verwurzelung hat dramatische Folgen. Sie ist Auslöser für das Scheitern vieler Beziehungen: aus sozialen, ökologischen und psychischen Gründen. Die Wenigsten kennen heutzutage ihren Wohnort wirklich gut. Das Fremde hat, frei nach dem Sprichwort „das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite“, eine magische Anziehungskraft.

Der Kontrast ist atemberaubend, wenn wir der lokalen Bevölkerung in unseren Interventionsregionen begegnen. Ihr Lebensraum und Aktions­radius ist extrem eingeschränkt und sie zeigen stolz ihre Zugehörigkeit.

Auf das Wesentliche fokussieren

In einer Gemeinschaft gut integriert zu sein, bringt unbestrittene Vorteile: Man gehört zu einer Einheit dazu. Dieses Gefühl ist für die Konstruktion der eigenen Identität unabdingbar. Ein DNA-Test nützt da rein gar nichts.

Während unseren Einsätzen bekommt man Gelegenheit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich existenzielle Fragen zu stellen. Vielleicht ist die Faszination der Teilnehmenden für die einfache Lebensart der lokalen Bevölkerung bezeichnet für unser westliches Unbehagen? Natürlich sollte man deren Situation nicht nur durch die rosarote Brille betrachten, dennoch können wir Dinge (wieder) lernen: Sich selbst mit einem gesunden Abstand zu hinterfragen, seine Prioritäten neu zu setzen und, wer weiss, sich selbst zu finden.

Xavier Mühlethaler

Übersetzt von Thaïs In der Smitten